24/01/2013

Die neue „Hermeneutik“ Mgr Fellays - Pater Juan Carlos Ortiz


       Die neue „Hermeneutik“ Mgr Fellays
        Hat die Bruderschaft ihren Standpunkt geändert?

                              Pater Juan Carlos Ortiz


Übersetzung von Anne-Catherine

Pater Juan Carlos Ortiz ist seit 28 Jahren Priester der Bruderschaft.


Trotz einiger kürzlich gehaltener Vorträge, die beruhigend wirken sollen, macht die Bruderschaft St. Pius X. nach wie vor ihre tiefste und schwerste Krise durch.

Diese Krise ist außerordentlich ernst, denn sie hat ihre Ursache in schwerwiegenden Schwächen vor allem Mgr Fellays und seiner beiden Assistenten, sowohl was die Lehre als auch was die Klugheit angeht. Hierin ist die Hauptursache der Bestürzung der Mitglieder der Bruderschaft zu sehen.

Mancher ist geneigt zu glauben, daß die Gefahr vorbei sei, weil bisher kein praktisches Abkommen mit Rom geschlossen wurde. Diese Schlußfolgerung ist allerdings voreilig!

Entgegen allem Anschein haben die Oberen der Bruderschaft ihre neue Auffassung der Rolle, die die Tradition in der Kirche und insbesondere in ihrem Verhältnis zur Konzilskirche spielen soll, nicht zurückgenommen. Außerdem sind sie weit davon entfernt, die persönliche Verantwortung für diese interne Krise zu übernehmen, die auf ihre unklugen Machenschaften zurückzuführen ist.

Mit zwei sehr wichtigen Aspekten dieser internen Krise muß man sich näher befassen, um die verhängnisvollen Auswirkungen, die sie in der Bruderschaft weiterhin hervorruft, nicht zu unterschätzen. 

Der erste allgemeinere Aspekt betrifft die wesentliche Rolle, die die Bruderschaft im Widerstand zur Konzilskirche und im Bewahren der katholischen Tradition spielt. Sollte die Bruderschaft fallen, fällt mit ihr auch die letzte Bastion der Tradition.

Der zweite spezifischere Aspekt betrifft den bedenklichen Wandel, den Menzingen in Bezug auf die Hauptrolle der Bruderschaft angesichts dieser Kirchenkrise vollzogen hat: diese Rolle steht in offenkundigem Gegensatz zu derjenigen, die ihr Mgr Lefebvre verliehen hatte.

Dieser Wandel ist indes sehr subtil und wird von manchen kaum wahrgenommen, denn die Oberen haben, obwohl sie versichern, daß sie den lehrmäßigen Kampf nicht aufgeben wollen, der kirchenrechtlichen Anerkennung der Bruderschaft den Vorrang gegeben. Lehrmäßige Aspekte stehen zwar immer noch auf ihrer Tagesordnung, aber erst an zweiter Stelle. So muß also angesichts dieses neuen Vorrangs alles „neu gedacht“ werden.

Dieser Wandel läßt bei den Oberen einen „Legalismus“ erkennen, unter dem alle Gemeinschaften der Tradition litten, die sich seit 1988 an Rom angeschlossen haben. Genau wie diese Gemeinschaften haben sie sich schließlich „schuldig“ gefühlt, weil sie aus der Amtskirche ausgeschlossen waren, mit der sie sich um jeden Preis „versöhnen“ wollten.

Wir kennen die „Hermeneutik der Kontinuität“ Benedikts XVI., mit deren Hilfe er eine neue  Deutung entworfen hatte, die die Konzilskirche in die Tradition der Kirche integrieren möchte.

Auch die Oberen in Menzingen haben, um ihren Standpunktwechsel zu rechtfertigen, eine neue „Hermeneutik“ bzw. „Neudeutung“ der Hauptrolle der Bruderschaft entworfen, mit deren Hilfe sie die Tradition in die Konzilskirche integrieren wollen.

Diese Hermeneutik erfordert eine verzerrte „Neulektüre“  dessen, was Mgr Lefebvre als vorrangig für die Bruderschaft angesehen hatte, indem entweder nur das zitiert wird, was er vor seinem Bruch mit Rom im Jahr 1988 gesagt hatte oder aber seine versöhnlicheren Worte über die offiziellen kirchlichen Autoritäten.

So wird das, was man früher als von der Konzilskirche kommend energisch zurückwies, „neu gedacht“, und zwar mit Hinblick auf  wenn schon nicht ganze, so doch zumindest „teilweise“ oder „bedingungsweise“ Annahme der Konzilsinhalte.

Anzumerken ist, daß die Oberen der Bruderschaft diese neue Einstellung mehr durch das erkennen lassen, was sie über die Konzilsautoritäten durch bewußtes Verschweigen nicht sagen, als durch das, was sie über sie äußern.

Abgesehen von gelegentlich eingestreuten energischeren Sätzen (um die „Härtesten“ unter uns zu  beruhigen), ist seit langer Zeit eine „positive“ Haltung zu Aussagen und Machenschaften der Konzilsautoritäten, vor allem Benedikts XVI., festzustellen. 

Ein kürzlich erbrachter Beweis für dieses „Aufweichen“ ist zweifellos darin zu sehen, daß Menzingen die als zu „hart“ beurteilten Bücher, die Mgr Tissier und Pater Calderón über die Konzilskirche geschrieben haben, boykottiert. Ein anderes Beispiel ist das Angelus-Symposium des US-Dstriktes, das in diesem Jahr „das Papsttum“ zum Thema gewählt hat, während gerade der 50. Jahrestag der Eröffnung des verheerenden II. Vatikanums begangen wird.

Manch einer mag sich nun fragen, warum und mit welchem Recht ich diese Neuausrichtung der Bruderschaft anprangere?

Ich kenne die Bruderschaft und ihre Zielsetzung gut, da ich ihr seit 28 Jahren als Priester angehöre. Ich habe eine tief empfundene Liebe zur Bruderschaft, der ich mich auf Lebenszeit verpflichtet habe. Ich habe ihren Gründer persönlich gekannt, der mich geweiht hat und mit dessen Schriften und Reden ich mich immer wieder beschäftigt habe. Aus Liebe zur Bruderschaft und aus kindlicher Liebe zu Mgr Lefebvre halte ich es daher für meine Pflicht, mich öffentlich zu äußern.

Es ist offensichtlich, daß sich seit mehreren Jahren, vor allem bei Mgr Fellay und seinen Assistenten, ein grundlegender Wandel im Hinblick auf das oberste Ziel der Bruderschaft in dieser Zeit der Kirchenkrise vollzogen hat, nämlich die katholische Tradition in vollem Umfang zu wahren und die Feinde der Kirche sowohl innerhalb als auch außerhalb der Kirche zu bekämpfen.

Die grundlegende Zielsetzung der Bruderschaft St. Pius X. kann nicht geändert werden, denn sie wurde von ihrem Gründer in seinen vielen Schriften, Predigten,Vorträgen und in seinem Handeln klar festgelegt, vor allem ab 1988. Wenn daher diese Zielsetzung in entscheidenden Punkten geändert würde, hieße das, sich ernstlich von ihrem Gründer zu distanzieren und die Bruderschaft in den Selbstmord zu treiben, wenn sie in die Hände des modernistischen Roms fällt, das von der Bruderschaft seit ihrer Gründung bekämpft wird.

Die Erfahrung zeigt uns, daß alle, die von der von Mgr Lefebvre vorgezeichneten Linie abgewichen sind, den Kampf für die Tradition schließlich aufgegeben haben. Dieser Wandel in der Bruderschaft ist durch nichts gerechtfertigt, denn wir haben in den letzten Jahren in der Konzilskirche keinerlei wichtige lehrmäßige oder praktische Änderung im Sinne einer wirklichen Rückkehr zur Tradition durch Verurteilung der Irrtümer oder der konziliaren Reformen bemerkt.

Ich möchte das oben angeführte noch unterstreichen, indem ich zeige, wie die Behauptungen und  Machenschaften Mgr Fellays und seiner Assistenten in völligem Gegensatz zu dem stehen, was Mgr Lefebvre ganz klar zum Ausdruck gebracht hat. Und selbst wenn Mgr Lefebvre sich nicht ausdrücklich dazu geäußert hätte, so stehen die Neuerungen doch dem Gesamtwohl der Bruderschaft und dem gesunden Menschenverstand entgegen.        

1. EINE FALSCHE VORSTELLUNG VON DER SICHTBARKEIT DER KIRCHE

Zunächst einmal wird klar, daß der Ausgangspunkt des Wandels auf einer falschen Vorstellung der Sichtbarkeit der Kirche beruht. 

In ihren öffentlichen Äußerungen behaupten die Oberen, die Bruderschaft sei  mit einem grundlegenden „Mangel“ bezüglich der „Sichtbarkeit“ der Kirche behaftet. Sie unterstellen der Bruderschaft oft eine „irreguläre“, „anormale“  und „illegale“ Lage, obwohl wir doch wissen, daß dies alles nur scheinbar der Fall ist. 

Pater Pfluger bekräftigt diesen Irrtum ausdrücklich in einem kürzlich gegebenen Interview: „Auch wir leiden unter einem Mangel, nämlich dem der kanonischen Irregularität. Nicht nur der Zustand der nachkonziliaren Kirche ist unvollkommen, unserer auch.“ Und weiter: „Die Verpflichtung, aktiv für die Überwindung der Krise zu arbeiten, kann man nicht bestreiten. Und diese Arbeit beginnt bei uns selbst, beim Überwinden des anormalen kanonischen Zustandes.“ (Kirchliche Umschau, 17. Oktober 2012)

Die Autoritäten der Amtskirche haben die Bruderschaft jahrelang wegen dieser „Fehler“  gebrandmarkt, und zwar mit Hilfe lügenhafter Anschuldigungen und ungerechter Verurteilungen. Wir wissen jedoch und haben dies durch unsere Schriften und unser Handeln bewiesen, daß die Bruderschaft niemals den sichtbaren Bereich der katholischen Kirche verlassen und sich keines kanonischen Vergehens schuldig gemacht hat. Wir haben es daher nicht nötig, irgendein kirchliches oder kanonisches „Handicap“ zu überwinden, indem wir heute darum bitten, von der Konzilskirche anerkannt zu werden.

Was diesen Punkt betrifft, wiederholen die Oberen die gleichen falschen Behauptungen wie Dom Gérard und diejenigen, die sich 1988 an Rom angeschlossen haben und denen Mgr Lefebvre (Vortrag vom 9. September 1988; Fideliter Nr. 66) und Pater Schmidberger (Fideliter Nr. 65) kurz nach den Bischofsweihen sachdienlich geantwortet haben.

Monseigneur Fellay hat seinerseits kürzlich den gleichen Irrtum über die Natur der wahren Kirche bekräftigt: „Daß wir nach Rom gehen, heißt nicht, daß wir mit ihnen einverstanden sind. Aber es ist die Kirche. Und es ist die wahre Kirche. Wir lehnen das ab, was nicht in Ordnung ist, dürfen jedoch nicht alles ablehnen. Sie bleibt die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche.“ (Flavigny, 2. September 2012)

Diese erstaunliche Behauptung steht in offenem Widerspruch zu dem, was Mgr Lefebvre im oben zitierten Vortrag von der Konzilskirche sagte: Wir sind es, die die Kennzeichen der sichtbaren Kirche haben. Daß die Kirche heute noch sichtbar ist, verdankt sie uns. Diese Kennzeichen finden sich bei den anderen nicht mehr.“

Und mit Bezug auf Dom Gérard, der als Grund für seinen Anschluß an das modernistische Rom angab, man müsse der „sichtbaren Kirche“ beitreten, gab Mgr Lefebvre die klare Antwort: „Was Dom Gérard zur sichtbaren Kirche sagt, ist kindisch. Es ist unglaublich, daß man von der sichtbaren Kirche sprechen kann, wenn man die Konzilskirche meint, im Gegensatz zur katholischen Kirche, die wir vertreten und fortsetzen wollen.“ (Fideliter Nr. 70, Juli-August 1989, S. 6)

2. ANERKENNUNG UNSERER „RECHTMÄSSIGKEIT“ DURCH DIE  KONZILSKIRCHE 

Infolge dieses ersten Irrtums behaupten die Oberen, es genüge nicht mehr, daß die Bruderschaft die Gültigkeit der Autorität des Papstes und der Bischöfe anerkennt, öffentlich für sie  betet und bestimmte rechtmäßige Handlungen anerkennt (insofern sie mit der Tradition übereinstimmen). Sie sagen, man müsse „weiter gehen“ und die Konzilskirche bitten, uns die „Rechtmäßigkeit“ zu verleihen, die uns angeblich fehlt.

Auch in dieser Hinsicht stehen sie in offenem Gegensatz zu Mgr Lefebvre, der versicherte, daß wir, solange die Kirchenkrise andauert, keine Anerkennung von der Konzilskirche benötigen, da die echte Legitimität eines Tages bestätigt wird, wenn die kirchlichen Autoritäten zur wahren Lehre zurückkehren.

Mgr Lefebvre versicherte, daß wir die Konzilskirche nicht brauchen, um uns eine wie immer geartete „Rechtmäßigkeit“ zu verleihen: „Mit welcher Kirche haben wir es zu tun – das möchte ich gerne wissen, –  mit der katholischen Kirche oder mit einer anderen Kirche, einer Gegenkirche, mit einer falschen Kirche?... Ich glaube wirklich, daß wir es mit einer falschen Kirche und nicht mit der katholischen Kirche zu tun haben.“ (18. Juni 1978) 

3. NOTWENDIGKEIT EINES REIN PRAKTISCHEN ABKOMMENS

Ausgehend von ihrem zweifachen Irrtum streichen die Oberen dann die absolute Notwendigkeit eines praktischen Abkommens mit den derzeitigen kirchlichen Autoritäten heraus, und zwar ohne  vorhergehendes lehrmäßiges Abkommen und handeln damit dem zuwider, was Mgr Fellay ausdrücklich, vor allem nach 1988, versichert hatte und was das Generalkapitel (das mehr Autorität hat als die Oberen) 2006 beschlossen hatte.

Daß sie jetzt ein rein praktisches Abkommen anstreben, ist umso erstaunlicher, als man weiß, daß die kürzlich stattgefundenen lehrmäßigen Diskussionen zwischen der theologischen Kommission und dem Vatikan zu dem Ergebnis führten, daß ein lehrmäßiges Abkommen mit der Konzilskirche unmöglich ist!

Wenn die Bruderschaft also ein rein praktisches Abkommen mit dem derzeitigen Rom anstrebt, das im Irrtum verharrt, kommt dies einem „Unternehmen Selbstmord“ gleich, denn wir würden in die Konzilskirche „integriert“, deren ganze Struktur nicht nur ihren Ursprung im Konzil hat, sondern die auch darauf angelegt ist, die konziliaren und nachkonziliaren Reformen umzusetzen. Wir sind ausreichend informiert über das, was mit den acht Gemeinschaften der Tradition geschehen ist, die sich dieser Konzilskirche ohne vorausgehendes lehrmäßiges Abkommen angeschlossen haben, um zu wissen, daß mit uns unausweichlich das gleiche geschähe...

Als Voraussetzung für jeden künftigen Dialog mit der Konzilskirche verlangte Mgr Lefebvre , vor allem nach den Bischofsweihen, daß zuerst die lehrmäßige Frage beantwortet werden müsse: „Ich würde auf der lehrmäßigen Ebene die Frage stellen: „Sind sie einverstanden mit den großen Enzykliken aller Ihrer päpstlichen Vorgänger?... Stimmen Sie mit diesen Päpsten und ihren Aussagen vollkommen überein? Billigen Sie den Antimodernisteneid noch? Treten Sie für das soziale Königtum unseres Herrn Jesus Christus ein? Wenn Sie die Lehre Ihrer Vorgänger nicht annehmen, hat es keinen Sinn, miteinander zu reden. Solange Sie nicht bereit sind, das Konzil unter Bezug auf die Lehre Ihrer päpstlichen Vorgänger zu reformieren, ist ein Dialog weder möglich noch nützlich. Die Standpunkte wären auf diese Weise klarer.“ (Fideliter Nr. 66, Nov.-Dez. 1988, S. 12-13) 

4. DER  TRUGSCHLUSS, „MEHR GUTES TUN ZU KÖNNEN“

Im Sinne einer „positiven“ Rechtfertigung ihrer Verhandlungen mit Rom behaupten die Oberen, daß man dank eines rein praktischen Abkommens mehr Gutes tun könne, denn wenn man in der „sichtbaren Kirche“ sei, könne man die Konzilskirche zur Tradition zu bekehren... Genau das gleiche Argument haben Dom Gérard und die Priester von Campos benutzt, um ihren Anschluß an das konziliare Rom zu rechtfertigen! 

In einem Interview gab unser Gründer auf diese von trügerischem Optimismus geprägte Aussicht die realistische Antwort: „Sich ins Innere der Kirche begeben, was soll das heißen? Von welcher Kirche ist überhaupt die Rede? Wenn es die Konzilskirche ist, so müßten wir, die wir sie 20 Jahre lang bekämpft haben, weil wir die katholische Kirche wollen, in diese Konzilskirche eintreten, um sie angeblich katholisch zu machen? Das ist völlig illusorisch. Nicht die Untergebenen ändern die Oberen, sondern die Oberen ändern die Untergebenen.(Fideliter Nr. 70, Juli-August 1989)

Und die Ereignisse zeigen uns, daß das wenige Gute, was die an Rom angeschlossenen Gemeinschaften seit 1988 haben tun können, das größere Übel nicht rechtfertigen, das sie angerichtet haben, indem sie ihre Kritik der Konzilsirrtümer und der neuen Messe aufgaben, indem sie die Machenschaften der nachkonzilaren Päpste rechtfertigten, etc.


5. AUSREICHENDE VORBEDINGUNGEN?

Um dieses Abkommen zu rechtfertigen versichern die Oberen außerdem, daß die vom letzten Generalkapitel im Juli 2012 festgelegten Vorbedingungen ausreichten, um nicht in die gleiche Falle zu tappen wie die an Rom angeschlossenen Gemeinschaften.

Abgesehen jedoch davon, daß diese Bedingungen unrealistisch sind und nicht ausreichen, um uns vor einer „Assimilierung“  und einer „Neutralisierung“ durch die Konzilskirche zu schützen, hat das Generalkapitel die beiden wichtigsten Bedingungen vergessen, die Mgr Lefebvre ausdrücklich gestellt hatte: die Bekehrung der Autoritäten der Amtskirche durch ausdrückliche Verurteilung der Konzilsirrtümer und Dispens vom neuen Kirchenrecht

Mgr Lefebvre hatte bekräftigt, daß, selbst wenn uns das modernistische Rom bestimmte Vorbedingungen gewähren sollte, diese nicht ausreichend seien, um ein Abkommen zu schließen. Folgendes hatte er zu Kardinal Ratzinger gesagt: „ Sehen Sie Eminenz, selbst wenn Sie uns einen Bischof zugestehen, selbst wenn sie uns eine gewisse Unabhängigkeit von den Bischöfen zugestehen, selbst wenn Sie uns die ganze Liturgie von 1962 zugestehen, wenn Sie uns zugestehen, die Seminare der Bruderschaft so weiterzuführen wie bisher, können wir nicht mit Ihnen zusammenarbeiten, das ist unmöglich, ja unmöglich, denn wir arbeiten in zwei  entgegengesetzte Richtungen: Sie arbeiten an der Entchristlichung der Gesellschaft, der menschlichen Person und der Kirche, und wir arbeiten an ihrer Christianisierung. Wir können uns nicht einigen.“ (Exerzitien in Ecône, 4. September 1987)  

So setzte Mgr Lefebvre als wesentliche Bedingung für ein Abkommen die Bekehrung Roms voraus,
als er folgende Worte an die vier künftigen Bischöfe richtete: „...im Vertrauen darauf, daß der Stuhl Petri bald durch einen vollkommen katholischen Nachfolger Petri besetzt werden wird, in dessen Hände Sie die Gnaden Ihres Bischofsamtes legen können, damit er sie bestätige.“ (29. August 1987)

Was das Kirchenrecht betrifft, von dem Mgr Lefebvre sagte, es sei „schlimmer als das Assisi-Treffen“, wie könnten wir unsere Identität wahren und den Kampf weiterführen, wenn wir uns den allgemeinen Rechtsvorschriften der Konzilskirche, nämlich dem neuen Kirchenrecht unterwürfen? Sehen unsere Oberen denn nicht, daß das neue Kirchenrecht ausdrücklich zur Umsetzung der Konzilsreformen geschaffen wurde und nicht zur Wahrung der Tradition

6. DAS II. VATIKANUM KANN ÜBERWUNDEN WERDEN!

Um die lehrmäßige Sackgasse zu überwinden, die im II. Vatikanischen Konzil und  im  nachkonziliaren „Lehramt“ zum Ausdruck kommt, haben sie sich überall in ihren Vorträgen, Predigten und Interviews immer wieder bemüht, die Konzilsirrtümer zu verharmlosen, um die Gemüter auf die Versöhnung mit dem konziliaren Rom vorzubereiten.

Haben wir nicht mit Verblüffung gehört, wie Mgr Fellay in einem Interview mit dem Catholic News Service versicherte, daß „das Konzil eine Religionsfreiheit beinhaltet, die tasächlich sehr, sehr begrenzt ist.“?   Und haben wir ihn nicht auch versichern hören, daß die Schlußfolgerung aus den lehrmäßigen Gesprächen mit Rom war, daß „wir sehen, daß vieles von dem, was wir als aus dem Konzil stammend  verurteilt hätten, tatsächlich nicht vom Konzil herrührt sondern vom allgemeinen Verständnis  desselben.“!  Und weiter: „Das Konzil muß in  die große Tradition der Kirche eingefügt werden, muß aus ihrem Inneren heraus und in Verbindung mit ihr verstanden werden. Mit diesen Aussagen sind wir vollkommen einverstanden, vollkommen und absolut einverstanden.“ (11. Mai 2012)

Und der einzige (unvollkommene) bekannte Text der letzten doktrinalen Präambel, den die Oberen im April in Rom vorlegten und den Pater Pfluger in einem Vortrag bekanntmachte, verrät nicht nur den gleichen Wunsch, die Konzilsirrtümer zu verharmlosen, sondern sie gar zu akzeptieren:“...die ganze Tradition des katholischen Glaubens muß Maßstab und Richtschnur zum Verständnis der Lehren des II. Vatikanischen Konzils bilden, welches seinerseits bestimmte Aspekte des Lebens und der Lehre der Kirche erhellt, die bereits mitenthalten, aber noch nicht formuliert worden sind.“ (St. Joseph des Carmes, 5. Juni 2012)

War nicht auch die Tatsache, daß die Oberen das dritte interreligiöse Treffen von Assisi vorbeigehen ließen, ohne es ausdrücklich zu verurteilen, ein aufschlußreiches Zeichen? Sie haben sogar bestimmte Mitglieder der Bruderschaft aufgefordert, keine Verurteilung vorzunehmen.

Noch beunruhigender ist, daß die Verharmlosung der Konzilsirrtümer schon weit zurückzuliegen scheint..., denn Mgr Fellay versicherte bereits 2001 (!) in einem Interview: „Das Konzil anzunehmen bereitet uns keine Schwierigkeiten“ „Es hat den Anschein als ob wir das ganze II. Vatikanum ablehnten. Dabei können wir es zu 95 % annehmen.“ (Schweizer Tageszeitung La Liberté, 11. Mai 2001)

Statt auf die wiederholten Mahnungen zu hören, kein praktisches Abkommen zu schließen, haben die Oberen mit Verachtung und äußerst harten Worten auf den Brief der drei Bischöfe geantwortet... indem sie ihnen unterstellten, sie seien „Sedisvakantisten“ und „Schismatiker“ und sie verwandelten die Irrtümer des II. Vatikanums in „Superhäresien“.

Die Liste würde zu lang, würde man alle Aussagen von Menzingen zitieren, die in Richtung einer Abschwächung der lehrmäßigen Positionen gehen. Auch bei anderen Mitgliedern der Bruderschaft, die für ein Abkommen eintreten, läßt sich eine Abschwächung der Doktrin feststellen. Ich habe gesehen, wie manche Mitbrüder, von denen ich wußte, daß sie das Konzil und die nachkonziliaren Päpste scharf verurteilten, jetzt „entschärfte“ Positionen vertreten und sich sehr für einen Anschluß an das modernistische Rom einsetzen...

7. SCHWERE VERFEHLUNGEN GEGEN DIE KLUGHEIT

Zusätzlich zu den Fehlern, die die Oberen auf dem Gebiet der Prinzipien begangen haben, können wir auch schwerwiegende Fehlurteile feststellen, die die schlimmste und tiefste innere Spaltung mitverursacht haben, die die Bruderschaft je erlebt hat.

Durch unkluge Machenschaften haben sie die Einheit und das Gesamtwohl der Bruderschaft geopfert, um den Anweisungen des modernistischen Roms nachzukommen, wie sie in ihrer Antwort auf den Brief der drei anderen Bischöfe der Bruderschaft bewiesen haben: „Im Interesse des Gesamtwohls der Bruderschaft würden wir es bei weitem vorziehen, die derzeitige Zwischenlösung beizubehalten, aber das duldet Rom offensichtlich nicht länger.“ (14. April 2012)

Mgr Fellay wies auch darauf hin, daß es quasi „unvermeidlich“ sei, daß sich ein Teil der Bruderschaft im Falle eines Abkommens mit Rom nicht anschließen würde: „Ich kann nicht ausschließen, daß es vielleicht zur einer Spaltung [in der Bruderschaft] käme.“ (Interview mit dem Catholic News Service). Er ging auf diese Weise das Risiko einer ernstlichen Spaltung der Bruderschaft ein.

Die Oberen haben es demnach vorgezogen zu handeln, ohne die Warnungen der drei anderen Bischöfe sowie mehrerer Oberer und Mitglieder der Bruderschaft und selbst der uns nahestehenden  Gemeinschaften der Tradition zu beachten, die darum baten, kein rein praktisches Abkommen zu unterzeichnen.

Dieses Verhalten hat viele Mitglieder der Bruderschaft zutiefst schockiert und zu einer internen Spaltung geführt, die den Glauben an die Führungskompetenz der Oberen schwer erschüttert hat.
Auch das Vertrauen innerhalb der uns nahestehenden Gemeinschaften ist nach wie vor sehr schwach. 

8. WER HAT WEN GETÄUSCHT?

Wenn man die Erklärungen (Entschuldigungen?) hört, die die Oberen seit einigen Monaten bezüglich der vermuteten „wahren Gründe“ anführen und die sie zu derart weitreichenden Konzessionen an das modernistische Rom veranlaßt haben, stellt man fest, daß es nicht so sehr die römischen Autoritäten sind, die sie getäuscht haben, sondern daß sie sich selbst getäuscht haben! Daß sie sich unklugerweise entschieden hatten, die Antworten der offiziellen Kanäle des Vatikans in Bezug auf die wahren Ansichten des Papstes außer acht zu lassen und anderen angeblich „inoffiziellen“ Kanälen den Vorzug zu geben, fördert keineswegs ihren Ruf als kluge Vorgesetzte...

Sie haben nicht wahrhaben wollen, daß es sich bei allem, was sie von diesen „inoffiziellen“ Kanälen zu hören bekamen, entweder um Klatsch oder um Manipulation handelte, denn ihr Wunsch nach einem Abkommen war so sehr zu einer „Zwangsvorstellung“ geworden, daß sie schließlich alles glaubten. Wer trägt hier die Schuld? Sie selbst

Wie konnten sie auf einem so wichtigen Gebiet derart leichtfertig handeln? In jeder - auch in einer weltlichen – Institution führt ein derartiges Verhalten unausweichlich zur Entlassung der Verantwortlichen, denn das Vertrauen ist zu stark erschüttert. „Man steht zu seiner Verantwortung“, drohte Pater Pfluger für den Fall, daß kein Abkommen zustande käme.

Wenn sie nicht zurückgetreten sind, dann deshalb, weil sie nach wie vor an ein Abkommen glauben. Sie haben aus ihren Machenschaften noch immer keine Lehre gezogen! Es ist trotz einiger Hindernisse offensichtlich, daß sowohl sie als auch der Vatikan alles tun, um die Gespräche „wieder aufleben“ zu lassen. Der Ausschluß Mgr Williamsons erscheint hier ganz klar als „aufschlußreiches Zeichen“ zur Wiederaufnahme der Gespräche, denn dieser Ausschluß war, zumindest für den Vatikan, eine sine qua non-Bedingung für ein Abkommen.

Darüber hinaus finden wir bei Mgr Fellay einen gravierenden Mangel an praktischem Urteilsvermögen hinsichtlich der falschen Ansichten des Papstes. Wie kann er annehmen, daß Benedikt XVI. bereit sei, uns anzuerkennen „indem er unsere Anerkennung des Konzils außer acht läßt“, wie er ihm im Juni 2012 schrieb? Weiß er denn nicht, daß das Konzil für das modernistische Rom „unverhandelbar“ ist? Ist es Naivität oder verwechselt Mgr Fellay seine Wünsche mit der Wirklichkeit? In jedem Fall verstößt er hiermit auf lehrmäßigem Gebiet schwer gegen die Klugheit.

9. UNGERECHTE VERFOLGUNGSMASSNAHMEN

Und schließlich haben die Oberen, als Gipfel der Blindheit und des Starrsinns auf ihrem Weg zur „Aussöhnung“ mit dem modernistischen Rom, zu ungerechten Verfolgungsmaßnahmen gegriffen, um sowohl innerhalb als auch außerhalb der Bruderschaft jegliche Opposition gegen ein Abkommen auszuschalten. Seither sind wir Zeugen einer ganzen Serie von Einschüchterungen, Abmahnungen, Versetzungen, Verzögerungen von Priesterweihen, Ausschlüssen von Priestern und des Ausschlusses selbst eines unserer Bischöfe geworden!

Unerbittlich werden von ihnen diejenigen verfolgt und ausgeschlossen, die sich ihrem Anschluß an das modernistische Rom widersetzen; gleichzeitig aber versichern sie zynisch, sie wollten weiterhin Widerstand leisten... innerhalb der Amtskirche, sobald sie von dieser anerkannt seien!

Letzten Endes haben sie ein autoritäres Regime, ja eine regelrechte Diktatur innerhalb der Bruderschaft errichtet, um jedes Hindernis aus dem Weg zu räumen, das sich den Plänen ihres Anschlusses an das modernistische Rom entgegenstellt.


So erleben wir, wie Mgr Fellay und seine Assistenten die von unserem Gründer während der Kirchenkrise festgelegten Grundsätze und Ziele der Bruderschaft verändert haben. Sie haben sich über die wichtigen Beschlüsse des Generalkapitels von 2006 hinweggesetzt, das ein praktisches Abkommen ohne vorausgehendes lehrmäßiges Abkommen mit der Amtskirche untersagte. Sie haben sich wissentlich über die Warnungen kluger Personen hinweggesetzt, die ihnen von einem praktischen Abkommen mit dem modernistischen Rom abrieten. Sie haben der Einheit und dem Gesamtwohl der Bruderschaft Schaden zugefügt, indem sie die Bruderschaft der Gefahr eines Übereinkommens mit den Feinden der Kirche aussetzten. Und sie widersprechen sich schließlich selbst, wenn sie das Gegenteil dessen beteuern, was sie noch vor wenigen Jahren gesagt haben.

Sie haben daher das Erbe Mgr Lefebvres verschleudert, ihre Amtspflichten verletzt und das Vertrauen Tausender mißbraucht, auch derjenigen, die ihnen weiterhin vertrauen, obwohl sie von ihnen getäuscht wurden.

Sie haben sich fest entschlossen gezeigt, die Bruderschaft zu einem Abkommen mit unseren Feinden zu führen, koste es was es wolle. Es ist kaum von Bedeutung, ob das Abkommen mit der Konzilskirche noch nicht geschlossen ist, ob es weder in naher Zukunft noch jemals geschlossen wird...die Bruderschaft befindet sich nach wie vor in großer Gefahr, da die Oberen die falschen Grundsätze, von denen sie sich bei ihren zerstörerischen Machenschaften leiten ließen, nicht aufgegeben haben. 

Es schmerzt mich feststellen zu müssen, daß die Oberen, die fälschlicherweise ihr eigenes Urteil und ihre eigenen Beschlüsse mit der Bruderschaft gewissermaßen gleichsetzen, die Bruderschaft schließlich beschlagnahmt haben, so als ob sie ihr Privateigentum wäre, und daß sie dabei vergessen haben, daß sie lediglich auf begrenzte Zeit ernannte Diener sind.

Diese Feststellung ist umso schmerzlicher und besorgniserregender, als man weiß, daß von der Treue der Bruderschaft zu ihrem Auftrag das Heil so vieler Seelen und auch die Erneuerung der ganzen Kirche abhängt. Gott erbarme sich der Bruderschaft!

Pater Juan Carlos Ortiz